Mit der Rückkehr von Trump ins Weisse Haus und der erstarkten Rechten in Europa fragen sich viele Menschen, ob wir uns auf ein faschistisches Zeitalter zubewegen. Angstmacherei oder mögliches Szenario?
«Elon Musk, and how Techno-Fascism has come to America» (The New Yorker), «‘Our neighbours are daring to choose fascism again’: Germany’s election leaves many fearing what lies ahead» (The Guardian), «John Kelly comes out swinging against Trump, says he fits 'fascist' definition» (ABC News), «Faschismus allüberall?» (Seemoz), «Das Gegenmittel zum Faschismus» (SP Schweiz), «Medien im Faschismus-Fieber: Wenn der «Spiegel» überall «heimliche Hitlers» sieht» (Neue Zürcher Zeitung).
Diskussionen um eine allfällige Rückkehr des Faschismus laufen momentan heiss, kürzlich noch weiter angefacht durch die Wahlerfolge der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich und der Rückkehr von Donald Trump ins Oval Office. Verwenden wir den Begriff Faschismus vorschnell oder müssen wir davor warnen, weil wir uns in ein faschistisch dominiertes Zeitalter bewegen? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Medien, sondern auch die Klasse M25c am Gymnasium Kirchenfeld.
Grundlage für die Diskussion über Faschismus in unserer Klasse war der überaus bekannte Text «Der ewige Faschismus» des italienischen Schriftstellers Umberto Eco. In diesem Text thematisiert Eco, was für verschiedene Formen Faschismus annehmen kann, und präsentiert 14 Merkmale von Faschismus. Und nicht zuletzt ist dieses Schriftstück von Umberto Eco ein Appell: Der sogenannte Ur-Faschismus sei immer noch um uns, wenn vielleicht auch versteckt und scheinbar unschuldig. Es sei unsere Pflicht, diesen Ur-Faschismus zu entlarven und ihn blosszustellen (vgl. Eco, S.40).
In der Diskussion des Textes von Eco haben wir festgestellt, dass der Faschismus eine diffuse Ideologie ist und keine definierten inhaltlichen Merkmale aufweist. Vielmehr ist die Struktur definierend. Das hat zur Folge, dass auch inhaltlich sehr verschiedene Ideologien wie der Stalinismus und der Nationalsozialismus viele Ähnlichkeiten aufweisen können. Diese Tatsache erschwert die Erkennung von faschistischen Systemen, da die Charakterisierung nicht auf der inhaltlichen, sondern auf der strukturellen Ebene stattfindet.
Weiter sind wir zur Schlussfolgerung gelangt, dass Faschismus allerdings auch strukturell aus verschiedensten Elementen bestehen kann. Die 14 von Eco präsentierten Merkmale von Faschismus sind alle nicht notwendig, um Faschismus zu definieren. Im Gegenteil, kaum ein faschistisches System weist alle diese Merkmale auf, sondern jeweils nur einige. Dadurch können faschistische Systeme nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell verschiedenste Formen annehmen. Dementsprechend deckt der Begriff Faschismus eine grosse Bandbreite an verschiedenen Systemen ab. Dabei haben wir an zwei Beispielen selbst bemerkt, dass jegliche Versuche, Faschismus ‘kurz und knackig’ zu definieren, mit dem Verlust der Vielschichtigkeit des Begriffs Faschismus einhergehen, der für Faschismus gerade eben elementar ist. Das ist der Grund, weshalb in diesem Text keine einleitende Definition von Faschismus zu finden ist. Meiner Meinung nach kann Faschismus nur verstanden werden, wenn man sich detaillierter damit auseinandersetzt.
Doch zurück zur Ausgangsfrage, ob wir den Begriff Faschismus vorschnell verwenden oder ob wir uns tatsächlich auf ein faschistisch dominiertes Zeitalter zubewegen. In Diskussionen um die Frage, ob wir den Begriff Faschismus im Zusammenhang mit populären Politikern wie Trump, Le Pen oder Höcke verwenden sollten, taucht oft das Argument auf, dass der Begriff ‘Faschismus’ nicht als politischer Kampfbegriff verwendet werden sollte, da er sich sonst ‘abnutze’. Zudem sei die Verwendung dieses Begriffes Angstmacherei. Die Gegenposition ist dann jeweils, dass die Dinge beim Namen genannt werden sollten. Und genau in diesem Satz liegt meiner Meinung nach der Punkt: Eine Partei, Person etc. soll bzw. muss als faschistisch bezeichnet werden, wenn sie denn mehrere faschistische Merkmale aufweist. Diese Überprüfung nach faschistischen Merkmalen ist natürlich in sich nicht einfach, weil Faschismus eben eine grosse Bandbreite an Merkmalen abdeckt. Wenn nun aber ein Gericht wie im Fall Höcke entscheidet, dass Höcke faschistische Merkmale aufweist und daher als Faschist bezeichnet werden darf, sollte dies auch getan werden.
Damit sind wir eigentlich auch schon beim zweiten Punkt unserer Ausgangsfrage angelangt: Bewegen wir uns in ein postfaschistisches Zeitalter? Diese Frage hat nach dem Amtsantritt von Trump massiv an Aktualität gewonnen. Die Regierung von Trump weist tatsächlich viele faschistische Merkmale auf: Wer Trump widerspricht, wird abgestraft (Nachrichtenagentur AP, Harvard University), irrationale Aktionen werden um der Aktion willen getan (Mauer zu Mexiko, Ölbohrungen), Angst vor dem Andersartigen wird verbreitet (Flüchtlinge, Personen der LGBTQ-Gemeinschaft) und – ein Merkmal, das momentan auf viele rechts(extreme) Parteien zutrifft – die Grenzen des Sagbaren werden verschoben, während Wissen, das Trump nicht genehm ist, zensiert wird. Stichwort Verbannung von Büchern an Schulen oder ‘Faktencheck’ auf der Plattform X. Auch einige erstarkende rechtsextreme Parteien in Europa weisen zumindest eine besorgniserregende Anzahl an faschistischen Merkmalen auf. Gleichzeitig argumentieren Vertreterinnen des Standpunkts, dass wir uns nicht in ein postfaschistisches Zeitalter bewegen, damit, dass unsere westlichen demokratischen Systeme genügend resilient wären, um von faschistischen Parteien und Personen überwältigt zu werden.
Diese Haltung ist meines Erachtens brandgefährlich: Ja, vielleicht wären unsere demokratischen Systeme imstande, allfällige faschistische Angriffe abzuwehren. Doch was, wenn nicht? Ob wir in ein faschistisches Zeitalter schlittern oder nicht, wird die Zukunft weisen. Doch die Gefahr ist momentan grösser als während einer langen Zeit. Der Ur-Faschismus sei immer um uns herum, doch momentan deutlich ausgeprägter als auch schon. Grund genug, um Ecos Appell aus dem Jahre 1995 umzusetzen: Faschismus suchen, entlarven, benennen und blossstellen.